Auditive Wahrnehmung und kritische Bandbreiten:

     
5. Kritische Bandbreiten
Das Energiespektrum-Modell
Profilanalyse
Comodulation Masking Release
Modulation Discrimination Interference
Zusammenfassung
Literatur + Quellen
7. Anwendungen
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Dokumentation
     
  Auditive Objektwahrnehmung (Auditory Grouping)
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Bei den bisher behandelten Phänomenen der Hörwahrnehmung und psychoakustischen Experimenten ging es meist um sehr grundlegende Merkmale einzelner Schallsignale wie Tonhöhe und Lautstärkeempfindung. Diese Merkmale sind leicht auf physikalische Eigenschaften von akustischen Reizen zurückzuführen.

In alltäglichen Hörsituationen werden diese Schalleigenschaften jedoch nicht derart isoliert wahrgenommen. Vielmehr nehmen wir eine komplexe akustische Umwelt wahr, in der wir oft mühelos und eindeutig Schall bestimmten Quellen und Ereignissen zuordnen und oft als bekannt identifizieren. Schallereignisse stellen für uns eine akustische Szene dar.

Straßenszene: Mühelos erkennt man verschiedene Stimmen, Klimpern von Kleingeld, vorbeifahrende Autos und Bahnen.

Der Vorgang der Analyse, durch den Frequenzanteile Quellen zugeordnet und in Schallereignisse zeitlich zu sogenannten Streams zusammengefasst werden, wird auch als Gruppierung (Auditory Grouping) bezeichnet. Schallereignisse, die einer Quelle zugeordnet werden und im zeitlichen Verlauf einen Stream bilden, werden als akustische Objekte bezeichnet.

Allgemeine Prinzipien der perzeptuellen Organisation

Bei der Gruppierung akustischer Reize zu akustischen Objekten wirken offenbar eine Reihe von Prinzipien, nach denen das Gehör die physikalischen Eigenschaften der Reize analysiert. Die im Folgenden aufgeführten Prinzipien entstammen der Gestaltpsychologie und wurden zuerst im Zusammenhang mit der visuellen Wahrnehmung formuliert. Sie wurden an auditive Wahrnehmung angepasst. Nicht immer gelten alle Regeln im einzelnen, doch führt eine auf ihnen beruhende Analyse insgesamt meist zur zutreffenden Interpretation der Reize.

Ähnlichkeitsprinzip

Töne, die einander in der Klangfarbe oder Tonhöhe ähnlich sind, werden als zusammengehörig wahrgenommen (z.B. Melodielinien, die von einem Musikinstrument gespielt werden).

Gestaltgerechte Linienfortsetzung

Zeitliche Veränderungen in Tonhöhe, Spektrum, wahrgenommener Richtung der Schallquelle (Lokalisation) etc. sind meist kontinuierlich. Kontinuierliche Übergänge signalisieren Zusammengehörigkeit, abrupte Veränderungen deuten auf andere Quellen hin.

Gemeinsames Schicksal

Veränderungen von Frequenzkomponenten, die von einer Quelle stammen, betreffen meist alle Frequenzkomponenten gemeinsam. Sie beginnen gemeinsam, verändern sich und enden meist gemeinsam.

Gute Verlaufsgestalt

Wird eine Komponente des Schalls zeitweise maskiert, wird sie dennoch als kontinuierlich wahrgenommen, solange keine direkten sensorischen Hinweise vorliegen, dass sie unterbrochen wurde.

[Abb. 6.3] Spektogramm eines Sprachsignals (das Wort "Samantha"). Der Grad der Schwärzung gibt die Dimension der Schallintensität wieder. Einzelne Laute sind durch eine charakteristische akustische Struktur in Spektrum und zeitlichen Verlauf erkennbar.

Das Gehör leistet erstaunliches bei der Erkennung von Sprache und Stimmen. Angesichts der akustischen Struktur von Sprache scheinen die Prinzipien der perzeptuellen Organisation besonders einleuchtend: Vokallaute sind durch charakteristische Komponenten, durch Maxima im Frequenzspektrum gekennzeichnet (sogen. Formanten), die sich stets gleich oder ähnlich verhalten. Sprache hat zudem eine ausgeprägte Zeitstruktur. Die akustischen Auswirkungen von Konsonanten erleichtern eine Gruppierung in Silben- und Wortobjekte.

Die Erforschung der Hörwahrnehmung unter gestaltpsychologischen Gesichtspunkten ist ein relativ junger Ansatz. Die Prinzipien der perzeptuellen Organisation können Hinweise darauf liefern, welche physikalischen Eigenschaften akustischer Reize auch scheinbar einfache Bereiche der Hörwahrnehmung wie Maskierung und Lautstärkewahrnehmung beeinflussen.

Dieser Ansatz, der wesentlich näher an natürlichen Hörsituationen orientiert ist, kann einen Weg zur Erforschung komplexerer psychoakustischer Phänomene weisen. Dort stößt der Ansatz der klassischen Psychophysik , die Hörwahrnehmung aus der Summe der Wahrnehmungen von einzelnen Elementen der Empfindung zu erklären, offensichtlich an seine Grenzen.

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