Auditive Wahrnehmung und kritische Bandbreiten:

     
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Benötigte Vorkenntnisse
   

Akustische Größen und Empfindungsgrößen

5. Kritische Bandbreiten
7. Anwendungen
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  Anmerkungen zur Psychoakustik
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Psychoakustik und "klassische Psychophysik"

Die Psychoakustik widmet sich den Zusammenhängen zwischen akustischen Reizen und den dadurch hervorgerufenen Hörwahrnehmungen. Sie überbrückt damit gewissermaßen "zwei Welten": die der Physik und die der Wahrnehmung bzw. Sinnesempfindung. Die in dieser Arbeit beschriebenen psychoakustischen Versuche beruhen auf Messverfahren der "klassischen Psychophysik", die von G.T. Fechner (1801 -1887) begründet wurde.

Es wird davon ausgegangen, dass eine Empfindung durch den auslösenden Reiz gemessen werden kann, indem die - direkt messbare - physikalische Reizstärke mit einer Skala von Empfindungsgrößen in Bezug gebracht wird. Diese Beziehung wird Reiz-Empfindungsfunktion genannt.

Um die Zusammenhänge zwischen Stimuli und Hörempfindungen systematisch zu untersuchen, müssen Hörempfindungen in geeigneter Form gemessen und ausgewertet werden. Die Messung von Hörempfindungen besteht immer in einer Art der Befragung von Versuchspersonen. Praktisch werden psychoakustische Messungen als Laborversuche unter möglichst genau spezifizierten Bedingungen durchgeführt. Dabei werden alle als nicht relevant betrachteten Einflüsse (vor allem Umgebungsgeräusche) möglichst ausgeschlossen. Die meisten psychoakustischen Experimente beschränken sich daher auf eindeutig definierte, einfach zu beschreibende akustische Reize wie z.B. Sinustöne und (bandbegrenztes) Rauschen.

Methoden der Psychoakustik

Die wichtigsten Messmethoden der Psychoakustik sind die Bestimmung von Reizschwellen und Unterschiedsschwellen. Die Reizschwelle liegt bei der geringsten Reizgröße, die gerade eben eine Empfindung auslöst (z.B. absolute Hörschwelle). Die Unterschiedsschwelle kennzeichnet die Änderung des Reizes gegenüber einem Ausgangsreiz, bei der gerade eben ein Unterschied in der Empfindung wahrnehmbar ist. Diese kleinsten ebenmerklichen Unterschiede (just notable differences, JNDs) bilden die Einheiten der Empfindungsskala.

Die Befragung der Versuchspersonen beschränkt sich in der Regel darauf, dass diese aufgefordert werden, eine Entscheidung zwischen oder eine Auswahl unter vorgegebenen Aussagen über die dargebotenen Stimuli zu treffen (z. B. hörbar/nicht hörbar, gleich laut/doppelt/dreifach so laut, etc.). Die Aussage wird meist über Schalter mitgeteilt.

Schwellen zwischen wahrnehmbar und nicht wahrnehmbar sind nicht eindeutig. Zu ihrer Festlegung werden statistische Grenzen gezogen. So wird z.B. die absolute Hörschwelle oftmals bei demjenigen Pegel festgelegt, bei dem eine Versuchsperson einen Testton in 50% der Fälle wahrnimmt und in 50% der Fälle nicht. Die Leistungen einzelner Probanden hängen von Aufmerksamkeit, Ermüdungsprozessen, Übung und nicht zuletzt von der Einstellung und den Erwartungen an den Versuch ab. Bei den Leistungen einzelner Probanden spielen individuell unterschiedliche Erfahrungen und Sinnesleistungen eine Rolle. Daher ist sowohl bei der Planung, als auch bei der Durchführung und der Interpretation der Ergebnisse der Versuche große Sorgfalt angebracht. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, müssen die Experimente mit einer repräsentativen Stichprobe von Teilnehmern durchgeführt werden.

Das Gehör als "Black Box" und Aufschlüsse durch physiologische Mechanismen

Da eine direkte Beobachtung des Gegenstandes "Hörwahrnehmung" nicht möglich ist, wird das menschliche Gehör in psychoakustischen Versuchen oftmals als "Black Box" behandelt. Jedoch wäre es kaum möglich, die beobachteten, ungeheuer komplexen Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften des "Input" (Schallsignale) und des "Output" (Hörwahrnehmungen) im Fall des Gehörs auf diese Weise systematisch zu erklären. Für das Verständnis des Gehörs ist es unerlässlich, Erkenntnisse der Psychoakustik mit Kenntnissen der "Signalverarbeitung", d.h. der physiologischen Verarbeitungsmechanismen des Gehörs zu vergleichen.

Um gültige Aussagen über die Funktionsweise des Gehörs treffen zu können, muss sich die Psychoakustik immer auch damit beschäftigen, ob die gemessenen Effekte der Hörwahrnehmung durch die physikalischen Eigenschaften der Schallsignale verursacht werden, oder durch die Einflüsse von Verarbeitungsprozesse durch die Sinnesorgane oder durch zentrale Interpretationsprozesse (im Gehirn).

Kritik am Ansatz der "klassischen Psychophysik"

Es ist offensichtlich, dass die genannten Laborbedingungen und üblichen Teststimuli nicht den natürlichen Hörgewohnheiten entsprechen. Die allermeisten natürlichen Schallsignale sind weitaus komplexer. In einer natürlichen Hörsituation überlagern sich zudem fast immer komplexe Schallanteile von verschiedenartigsten Quellen. Daher stellt sich stets die Frage, ob bzw. wie sich die im Laborbefunde auf die natürliche Hörwahrnehmung übertragen lassen.

Darüber hinaus liegt (vor allem früheren) Interpretationen von psychoakustischen Experimenten ein Ansatz zugrunde, der als "mikroskopischer" bzw. "bottom-up" Ansatz bezeichnet wird und dessen Anwendbarkeit in vielen Bereichen der Hörwahrnehmung zweifelhaft ist.

Dabei wird angenommen, dass sich eine gegebene Wahrnehmung auf irgendeine Art und Weise aus mehreren Empfindungsgrößen zusammensetzt. Daraus wird gefolgert, dass die Schallwahrnehmung insgesamt untersucht werden kann, indem man einzelne Aspekte der Wahrnehmung isoliert betrachtet und ihre Abhängigkeit von der Variation einzelner oder weniger Reizparameter testet. Dieser Ansatz wird dem komplexen Phänomen der Hörwahrnehmung in vielen Fällen erkennbar nicht gerecht.

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